Hamburg, 22.9.2023: Eine ausbalancierte Darm-Mikrobiota im Säuglingsalter, die sich durch einen hohen Anteil an Bifidusbakterien kennzeichnet, bildet die Grundlage für die Entwicklung eines starken Immunsystems und ist eng mit der langfristigen Gesundheit verbunden. Bei einer Dysbiose, beispielsweise begünstigt durch eine Entbindung per Kaiserschnitt oder Antibiotikagabe, werden Bifidusbakterien jedoch von anderen, oft unerwünschten Keimen stark verdrängt. Dies passiert auch bei lgE und nicht-lgE vermittelten Nahrungsmittelallergien, zu deren Diagnose und Therapie aminosäurebasierte Spezialnahrungen empfohlen werden. Mit Pre- und Probiotika angereicherte, synbiotisch wirkende Spezialnahrungen bringen die Mikrobiota wieder näher an die Mikrobiota gesunder gestillter Kinder heran und reduzieren so zusätzlich das Infektionsrisiko.

Inwieweit können Nahrungsmittelallergien und eine damit verbundene Dysbiose durch geeignete Maßnahmen verhindert und therapiert werden? Diese Frage wurde auf dem Nutricia-Symposium am 22. September 2023 während des jährlichen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Hamburg diskutiert. Die Referenten waren Professor Dr. Eckard Hamelmann, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum OWL der Universität Bielefeld, sowie Privatdozent Dr. Stephan Buderus, Chefarzt der Abteilung für Pädiatrie der GFO Kliniken Bonn.

 

Dysbiose: eine Ursache für den Vormarsch von Allergien

Chronische Erkrankungen nehmen laut Professor Hamelmann in den letzten Jahrzehnten deutlich zu. Beispielsweise haben mittlerweile 33 Prozent aller Kinder Allergien. Als Ursache dieses Anstiegs wird vermehrt eine gestörte Darm-Mikrobiota (Dysbiose) angenommen. Sie ist durch eine verringerte Vielfalt ihrer Zusammensetzung und eine verminderte Anzahl wünschenswerter Bakterien, wie zum Beispiel Bifidusbakterien, gekennzeichnet. Dagegen ist die Anzahl unerwünschter Bakterien, wie zum Beispiel Clostridien, erhöht. Eine Dysbiose kann vielfältige Folgen haben, angefangen bei Allergien, späterem Übergewicht und Diabetes, über Erkrankungen der Lunge, Haut und des Herzens, bis hin zu neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen.

Zu den Einflussfaktoren einer frühkindlichen Dysbiose zählen unter anderem die Stilldauer, die Art der Entbindung, die Anzahl älterer Geschwister, Haustiere in der Umgebung des Kindes, Antibiotikabehandlungen sowie Infektionen. In diesem Zusammenhang wies Professor Hamelmann auf eigene Untersuchungen mit insgesamt 632 Neugeborenen hin. Hier bestätigte sich, dass früher Stillabbruch, Entbindung per Kaiserschnitt sowie kleine Familiengröße beispielsweise zu einer verringerten Bifidusbakterien- und einer erhöhten Clostridienkonzentration führten. Beides führte in Folge zu einem bis zu 80 Prozent erhöhtem Allergierisiko in Form von atopischer Dermatitis und Nahrungsmittelallergien.

 

Einsatz von Synbiotika bei Allergien

Zur Prävention und Therapie allergischer Erkrankungen bei nicht-gestillten Säuglingen werden laut Professor Hamelmann – nach dem Vorbild der Muttermilch – Prä- und Probiotika eingesetzt; in Kombination auch Synbiotika genannt. Hier verwies er auf eine Reihe von Studien mit Kindern mit einer Kuhmilchallergie, die Allergietherapienahrungen basierend auf Aminosäuren erhielten, teilweise mit Synbiotika angereichert. In einer Metaanalyse dieser Studien zeigte sich, dass diese Nahrungen – sowohl mit als auch ohne Synbiotika – effektiv bei der Behandlung von Allergien sind, dass die synbiotische Anreicherung aber darüber hinaus zu einer wünschenswert entwickelten Darm-Mikrobiota und weniger Infektionen führt, den Einsatz bestimmter Medikamente, wie Antibiotika, verringert sowie die Anzahl der Krankenhausbesuche reduziert und damit Kosten spart.

 

Nicht IgE-vermittelte Allergien

Nahrungsmittelallergien (NMA) sind typischerweise IgE-vermittelte, immunologische Reaktionen. Privatdozent Dr. Buderus wies darauf hin, dass bestimmte NMA aber keine spezifischen IgE-Antikörper hervorrufen und daher als nicht IgE-vermittelt bezeichnet werden. Dazu gehören beispielsweise:

  • FPIAP (Food Protein Induced Allergic Proctokolitis; allergische Prokotkolitis); gekennzeichnet durch blutig-schleimige Stühle bei gutem Allgemeinzustand des Säuglings
  • FPIES (Food Protein Induced Enterocolitis Syndrome; nahrungsmittelinduziertes Enterokolitis-Syndrom); mit schwerem Krankheitsbild aufgrund einer Entzündungsreaktion der Darmschleimhaut, insbesondere im Dünn- und Dickdarm
  • EoE (Eosinophile Esophagitis); eine chronische Entzündung der Speiseröhre mit Einlagerung spezifischer Entzündungszellen (eosinophile Granulozyten)

 

Als häufigste Auslöser dieser NMA im Säuglings- und Kleinkindalter bezeichnete Dr. Buderus Kuhmilch, gefolgt von Soja, Hühnerei, Erdnüssen, Fleisch, Reis und Fisch – ähnlich wie bei IgE-vermittelten NMA. Auch die Symptome sind vergleichbar: Manche treten bereits am selben Tag der Aufnahme des Nahrungsmittels auf, wie akutes Erbrechen, Bauchschmerzen und Schreien. Durchfall, Blut im Stuhl oder Blähungen treten in der Regel nach ein bis drei Tagen auf, später können sich auch Obstipation, chronische Durchfälle, Gedeihstörungen, Hypalbuminämie oder Eisenmangelalbuminämie entwickeln.

 

Therapienahrungen bei Kuhmilchallergie

Die Kuhmilchallergie (KMA) tritt laut Dr. Buderus bei ein bis fünf Prozent aller Säuglinge auf und beeinträchtigt den Verdauungstrakt des Kindes, kann sich aber auch unabhängig davon an der Haut und den Atemwegen zeigen. Meist verschwindet die KMA noch im Kleinkindalter. Egal ob lgE- oder nicht-lgE- vermittelt, wird eine KMA mittels Allergenkarenz mit einer speziellen Allergietherapienahrung diagnostiziert und anschließend therapiert. Auch ein gestillter Säugling kann eine KMA entwickeln, hier erfolgt die Karenz in der mütterlichen Diät. Eine ungezielte IgE-Testung sollte nicht durchgeführt werden.

Bei den Therapienahrungen ist das Eiweiß entweder vollständig durch non-allergene Aminosäuren oder durch stark hydrolysiertes Kuhmilcheiweiß ersetzt. Sie werden über zwei bis vier Wochen gegeben, bevor die Diagnose mittels erneuter Provokation gestellt wird. Die Nahrung sollte so lange gegeben werden, bis das Kind auf eine Kuhmilchprovokation nicht mehr allergisch reagiert. Bei der unkomplizierten, nicht-IgE vermittelten Kuhmilchallergie wird zur Provokation die herkömmliche Formulanahrung auf Kuhmilchbasis schrittweise wiedereingeführt, beispielsweise über eine tägliche Steigerung von 30 Milliliter über sieben Tage; bei stillenden Müttern ebenfalls über eine einwöchige tägliche Steigerung der Kuhmilchprodukte in ihrer eigenen Ernährung. Bei älteren Kindern mit nicht-IgE vermittelter Kuhmilchallergie beginnt die Wiedereinführung von kuhmilchhaltigen Produkten über gebackene Produkte, wie Kekse und Kuchen, und geht erst später zu Joghurt und ähnlichen Produkten bis hin zu reiner Trinkmilch über. Bei schweren Formen der Kuhmilchallergie, wie z.B. bei FPIES, erfolgt die Provokation hingegen immer stationär.

 

Fazit

Gesundheit ist auch Darmsache. Liegt aufgrund eines Kaiserschnitts oder anderer Ursachen eine Dysbiose vor muss die Darm-Mikrobiota wieder ins Gleichgewicht gebracht werden – mit dem Ziel, langfristige negative gesundheitliche Folgen zu vermeiden. Auch bei der Allergietherapie können synbiotische Zusätze in Spezialnahrungen auf Aminosäurebasis zusätzliche positive Effekte erzielen.